Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im August 2024 mit einem Grundsatzurteil (III ZR 73/23) Klarheit in Bezug auf die Prüfpflichten und Haftung von Anlagevermittlern geschaffen. Dieses Urteil hat insbesondere für Anlagevermittler erhebliche Bedeutung, da es den Umfang ihrer Aufklärungs- und Prüfpflichten präzisiert. Anlagevermittler müssen demnach keine umfassende Einsichtnahme in Jahresabschlüsse vornehmen, sofern keine eindeutigen Hinweise auf finanzielle Risiken bestehen.
Der BGH entschied, dass ein eingeschränkter Bestätigungsvermerk in einem Jahresabschluss keine automatische Prüfpflicht für Anlagevermittler auslöst. Ein eingeschränktes Testat stellt keine „rote Flagge“ dar, die eine umfassende Plausibilitätsprüfung oder Einsichtnahme in alle Finanzdaten verlangt. Ein Anlagevermittler ist nur dann verpflichtet, Jahresabschlüsse detailliert zu prüfen, wenn es konkrete Anzeichen für wirtschaftliche Risiken gibt.
Das Gericht hat somit klargestellt, dass die Rolle des Anlagevermittlers deutlich von der eines Anlageberaters zu unterscheiden ist. Während Anlageberater eine umfangreiche Prüfungspflicht haben und die Bonität der empfohlenen Anlageprodukte bewerten müssen, ist ein Vermittler lediglich zur grundlegenden Aufklärung über die wesentlichen Anlagefakten verpflichtet. Die Haftung eines Anlagevermittlers bleibt somit auf mangelhafte Aufklärung beschränkt, sofern keine klaren Warnsignale vorhanden sind.
Diese Entscheidung bringt eine erhebliche Erleichterung für Anlagevermittler. Bisher war unklar, in welchem Umfang ein Vermittler in die wirtschaftliche Prüfung eines Unternehmens einsteigen muss, dessen Produkte er vertreibt. Nach dem neuen Urteil genügt es, wenn der Vermittler die Grundstruktur und Funktionsweise der Anlage verständlich erklärt. Eine detaillierte Analyse der Finanzlage ist hingegen nicht erforderlich, solange keine besonderen Verdachtsmomente vorliegen.
Für dich als Anlagevermittler bedeutet das Urteil, dass du bei der Vermittlung von Kapitalanlagen auf einer soliden rechtlichen Basis agieren kannst, solange du die wesentlichen Informationen zum Anlageprodukt transparent und verständlich weitergibst. Die Verantwortung für eine umfassende Bonitätsprüfung bleibt bei Anlageberatern, die eine fundierte Beratung bieten und explizit mit tiefergehenden Prüfungen beauftragt werden.
Auch wenn das Urteil eine umfassende Prüfungspflicht für Vermittler ausschließt, ist es ratsam, dennoch eine solide Grundkenntnis der Anlageprodukte zu haben und dich über alle wesentlichen Aspekte der Produkte zu informieren, die du vermittelst. Eine Weiterbildung im Bereich Anlagevermittlung und Wertpapier-Compliance kann dir helfen, die aktuellen rechtlichen Anforderungen zu verstehen und sicherzustellen, dass du deinen Prüfpflichten korrekt nachkommst. Besonders wichtig ist es, eine klare Grenze zwischen den Aufgaben eines Vermittlers und eines Beraters zu ziehen, um Haftungsrisiken zu vermeiden.
Ein empfehlenswertes Seminar in diesem Bereich bietet S+P für Vertriebs– und Compliance-Beauftragte an. In diesem Lehrgang lernst du, wie du die Rolle eines Compliance- und Vertriebsbeauftragten im Bereich Wertpapiere rechtlich korrekt ausfüllst. Das Seminar vermittelt dir praxisnahe Strategien für die Einhaltung von Prüfpflichten und zeigt auf, wie du rechtliche Fallstricke vermeiden kannst.
Das BGH-Urteil stärkt die Position von Anlagevermittlern, indem es die Prüfpflichten klar eingrenzt und die Unterschiede zur Rolle des Anlageberaters hervorhebt. Für dich als Anlagevermittler bedeutet das eine gewisse Entlastung: Du bist nur bei klaren Hinweisen auf wirtschaftliche Unsicherheiten zu weitergehenden Prüfungen verpflichtet und haftest nicht automatisch für eine unterlassene Prüfung. Dennoch bleibt es wichtig, die grundsätzlichen Informationen zu den Produkten, die du vertreibst, sorgfältig zu prüfen und stets die Grenze zu den Pflichten eines Anlageberaters zu beachten.