Aus dem Risk Hub

Autor: Emma Collins
– Compliance & Risk Analyst (S+P Hub)
Emma Collins
schreibt über Compliance-Transformation, DORA und die AMLA-Reformen für Finanz- und Unternehmensverantwortliche. Sie unterstützt den S+P Compliance Hub mit Beiträgen zu regulatorischen Strategien und operativer Resilienz.

15. November 2025
Lesezeit: 5 Minuten

Normative und ökonomische Perspektive: Risikotragfähigkeit im neuen ICAAP

Was versteht man unter normativer und ökonomischer Perspektive? Seit der Neuausrichtung durch die Aufsicht (BaFin/EZB) basiert deine Risikotragfähigkeit auf zwei gleichberechtigten Säulen. Das Ziel dabei: Du musst sowohl die Fortführung des Instituts (Going Concern) als auch den Schutz der Gläubiger (Gone Concern) sicherstellen.

In diesem Beitrag erfährst du, wie sich diese beiden Perspektiven unterscheiden, wie sie in deinem Risikomanagement (ICAAP) ineinandergreifen und welche Anforderungen seit 2023 für dich verbindlich gelten.

Normative und ökonomische Perspektive: Risikotragfähigkeit im neuen ICAAP

Die 8 Kernpunkte der neuen Risikotragfähigkeit

Um dir einen schnellen Überblick zu geben, haben wir die wesentlichen Anforderungen der BaFin für dich zusammengefasst:

  1. Zweipoligkeit: Du musst die normative und ökonomische Perspektive gleichrangig betrachten.

  2. Normative Sicht: Sicherstellung, dass du alle regulatorischen Kennzahlen (Kapital, Liquidität) laufend erfüllst.

  3. Ökonomische Sicht: Substanzsicherung auf barwertiger Basis (Marktwerte).

  4. Kapitalplanung: Mehrjährige Planung (mind. 3 Jahre) inkl. adverser Szenarien.

  5. Risikoermittlung: Vollständige Erfassung aller wesentlichen Risiken (intern & regulatorisch).

  6. Verzahnung: Erkenntnisse aus der ökonomischen Sicht müssen Impulse für deine normative Steuerung geben.

  7. Szenarien: Verpflichtende Berücksichtigung von Stressszenarien in deiner Planung.

  8. Proportionalität: Erleichterungen, falls du ein kleines und nicht-komplexes Institut (LSI) bist.


Normative vs. Ökonomische Perspektive im Vergleich

Kriterium Normative Perspektive Ökonomische Perspektive
Hauptziel Fortführung des Instituts unter Einhaltung regulatorischer Anforderungen (Going Concern). Langfristiger Substanzerhalt auf Marktwertbasis (Gone Concern / Gläubigerschutz).
Fokus Bilanzorientiert (HGB/IFRS), regulatorische Quoten. Barwertorientiert (Marktwerte), stille Reserven/Lasten.
Zeithorizont Mittelfristig (Kapitalplanung mind. 3 Jahre). Stichtagsbezogen (oft 1 Jahr) + langfristige Substanzsicherung.
Risikodeckung Regulatorische Eigenmittel (Kernkapital, Ergänzungskapital). Marktwertbereinigtes Eigenkapital (ökonomisches Kapital).
Szenarien Basisszenario + adverses Szenario (Stress). Stresstests zur Überprüfung der Substanz.

#1 Die Normative Perspektive: Regulatorik erfüllen

Die normative Perspektive zielt darauf ab, die Überlebensfähigkeit der Bank im regulatorischen Rahmen zu sichern. Sie ist quasi der „Blick des Aufsehers“.

Anforderungen an die Kapitalplanung

Institute müssen sicherstellen, dass sie alle Mindestanforderungen (SREP, P2G, Puffer) nicht nur heute, sondern auch in Zukunft erfüllen.

  • Planungshorizont: Mindestens 3 Jahre.

  • Szenarien: Es muss ein Planszenario (Erwartungswert) und ein adverses Szenario (schwere wirtschaftliche Eintrübung) berechnet werden.

  • Ziel: Selbst im Stressfall darf die „harte“ Gesamtkapitalanforderung (TSCR) nicht unterschritten werden.

Risikoermittlung

Die Basis bilden die Säule-1-Risiken (Kredit, Markt, OpRisk) gemäß CRR. Ergänzend müssen alle wesentlichen Risiken aus der internen Inventur (z.B. Zinsänderungsrisiko im Anlagebuch) berücksichtigt werden, sofern sie sich auf die GuV oder das Eigenkapital auswirken.


#2 Die Ökonomische Perspektive: Substanz sichern

Die ökonomische Perspektive löst sich vom Bilanzrecht und betrachtet den „wahren“ wirtschaftlichen Wert deines Instituts.

Barwertige Betrachtung

Im Idealfall bewertest du alle Vermögenswerte und Verbindlichkeiten zum Marktwert (Barwert).

  • Risikodeckungspotenzial: Dein Startpunkt ist oft das bilanzielle Eigenkapital, das du jedoch zwingend um stille Lasten und Reserven bereinigen musst.

  • Versteckte Risiken: Diese Perspektive deckt Risiken auf, die in deiner Bilanz (noch) nicht sichtbar sind, z.B. Wertverluste bei Anleihen durch Zinsanstiege, die im Anlagevermögen geparkt sind.

Erleichterungen für kleine Institute

Bist du ein sehr kleines und wenig komplexes Institut? Dann darfst du vereinfachte Verfahren nutzen (siehe Bundesbank zum ICAAP). Du kannst oft auf den Säule-1-Risiken aufsetzen und diese pauschal oder durch vereinfachte barwertnahe Verfahren für die ökonomische Sicht ergänzen („Säule 1 Plus“-Ansatz).


#3 Das Zusammenspiel: Keine Trennung der Welten

Die Aufsicht fordert keine isolierte Betrachtung, sondern eine Verzahnung.

  • Impulsgeber: Risiken, die in der ökonomischen Perspektive (Barwert) identifiziert werden, müssen analysiert werden: Wann schlagen sie auf die Bilanz (Normative Sicht) durch?

  • Beispiel: Ein Kursverlust einer Anleihe ist ökonomisch sofort sichtbar (Barwertverlust). Normativ führt er vielleicht erst später zu einer Abschreibung. Das Management muss diesen Effekt frühzeitig in der Kapitalplanung der normativen Perspektive berücksichtigen.


Seit 2023 geltende Regeln: Ein Paradigmenwechsel

Seit dem 01.01.2023 ist die Übergangsfrist für den alten „Going-Concern“-Ansatz alter Prägung abgelaufen.

  • Pflicht: Alle Institute müssen beide Perspektiven implementiert haben.

  • Liquidationsansatz: Der reine Liquidationsansatz (Gone Concern) als alleinige Steuerung ist nicht mehr zulässig. Er geht in der ökonomischen Perspektive auf, muss aber zwingend durch die normative Planung ergänzt werden.


S+P Fazit: Duale Steuerung als neuer Standard

Die Trennung in normative und ökonomische Perspektive macht das Risikomanagement komplexer, aber auch robuster. Institute müssen lernen, „zweisprachig“ zu steuern: Einerseits die Bilanzkennzahlen für die Aufsicht optimieren (Normativ), andererseits die wirtschaftliche Substanz gegen Wertverfall schützen (Ökonomisch). Wer beide Sichten integriert, vermeidet böse Überraschungen bei Zinswenden oder Marktschocks.


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FAQ – Häufige Fragen zur normativen und ökonomischen Perspektive

  • Was ist der Hauptunterschied zwischen der normativen und der ökonomischen Perspektive?

    Die normative Perspektive blickt durch die regulatorische Brille. Sie prüft, ob die Bank ihre aufsichtsrechtlichen Anforderungen – z. B. Kapitalquoten oder Liquiditätskennzahlen – nachhaltig einhalten kann.

    Die ökonomische Perspektive bewertet dagegen die wirtschaftliche Substanz einer Bank auf Marktwertbasis. Sie stellt die Frage: Wie stabil ist das Institut wirklich, wenn alle Vermögenswerte und Risiken realistisch bepreist werden?

  • Warum reichen die alten Risikotragfähigkeits-Konzepte nicht mehr aus?

    Früher nutzten viele Institute entweder:

    • einen reinen Going-Concern-Ansatz (Fortführung) oder
    • einen reinen Gone-Concern-Ansatz (Liquidation).

    Seit 2023 fordert die Aufsicht zwingend die „Zweipoligkeit der Risikotragfähigkeit“. Beide Ziele müssen gleichzeitig erfüllt sein:

    • Normativ: Die Bank bleibt regulatorisch überlebensfähig.
    • Ökonomisch: Die wirtschaftliche Substanz bleibt erhalten.

    Ein einzelner Ansatz reicht nicht mehr aus.

  • Wie gehe ich mit stillen Reserven und stillen Lasten um?

    In der normativen Perspektive wirken stille Reserven/Lasten erst, wenn sie realisiert werden (z. B. Verkauf einer Anleihe mit Gewinn/Verlust).

    In der ökonomischen Perspektive sind sie sofort relevant: Marktwertverluste müssen vom ökonomischen Kapital abgezogen werden – ebenso dürfen bestehende stille Reserven hinzuaddiert werden.

    Dadurch wird die tatsächliche wirtschaftliche Risikotragfähigkeit sichtbar.

  • Muss ich für die Kapitalplanung immer Szenarien berechnen?

    Ja. Die MaRisk fordern zwingend:

    • ein Planszenario (Erwartungswert),
    • mindestens ein adverses Szenario (schwerer Stress),
    • einen Planungshorizont von mindestens 3 Jahren.

    Ziel: Nachweis, dass das Institut auch im Stress seine regulatorischen Mindestanforderungen nicht verletzt.

  • Gibt es Erleichterungen für kleine Banken (LSI)?

    Ja – das Proportionalitätsprinzip gilt weiterhin.

    Kleine, wenig komplexe Institute dürfen z. B.:

    • vereinfachte ökonomische Verfahren nutzen (z. B. „Säule-1-Plus-Ansatz“),
    • auf komplexe interne Modelle verzichten,
    • methodisch pragmatisch arbeiten, solange die Risiken angemessen berücksichtigt werden.

    Entscheidend ist: Die Risiken müssen vollständig erfasst sein – egal wie simpel das Modell ist.

  • Wie hängen die beiden Perspektiven zusammen?

    Die beiden Perspektiven dürfen nicht isoliert nebeneinander stehen. Sie müssen sich gegenseitig beeinflussen.

    Beispiel: Wenn die ökonomische Sicht zeigt, dass die Zinsbuchsteuerung langfristig Substanz vernichtet (starker Barwertverlust), dann muss dies in der normativen Planung berücksichtigt werden.

    Erkenntnisse aus der ökonomischen Perspektive wirken also wie ein „Frühwarnsystem“ für spätere Risiken in der normativen (bilanzorientierten) Sicht.

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