AI Compliance, Risk & Ethics Officer: Drei Disziplinen, eine Schlüsselrolle

Der EU AI Act schafft nicht nur neue Regeln, er erzwingt völlig neue Verantwortlichkeiten im Unternehmen. Mit dem Inkrafttreten der Verordnung stehen Führungskräfte vor einer zentralen Frage: Wer kümmert sich darum?

Die Anforderungen des Gesetzes sind komplex und erstrecken sich über drei Kerndisziplinen:

  1. AI Compliance: Die Einhaltung von Gesetzen und Normen.

  2. AI Risk: Die Bewertung und Steuerung von Risiken (insb. bei Hochrisiko-Systemen).

  3. AI Ethics: Die Wahrung ethischer Grundsätze (Fairness, Transparenz, Anti-Diskriminierung).

In der Theorie könnte man für jede dieser Disziplinen eine eigene Rolle schaffen: einen AI Compliance Officer, einen AI Risk Officer und einen AI Ethics Officer.

In der unternehmerischen Praxis ist dieser „Silo-Ansatz“ jedoch ineffizient, langsam und fehleranfällig. Die erfolgreichsten Unternehmen werden diese drei Funktionen in einer einzigen, schlagkräftigen Schlüsselrolle bündeln: dem AI Compliance Officer (AI-CO) mit integrierter Risk- und Ethik-Verantwortung.

Dieser Artikel erklärt die drei Teilfunktionen – und warum ihre Bündelung der Goldstandard für ein effektives AI-Managementsystem (AICMS) ist.

Die 3 Säulen der AI-Verantwortung nach EU AI Act

Der 3-Säulen-Vergleich: Risk vs. Ethics vs. Compliance

Funktion Deine Kernfrage (Fokus) Zentrale Aufgabe (Beispiel)
AI Risk Officer Was könnte passieren? Pflege und Steuerung des AI Risk Registers – Identifikation, Bewertung und Monitoring aller KI-Risiken.
AI Ethics Officer Was sollte (oder sollte nicht) passieren? Durchführung von Bias- und Fairness-Analysen (Ethik-Review) zur Wahrung von Transparenz und Gleichbehandlung.
AI Compliance Officer Was muss passieren? Aufbau und Überwachung des AI Compliance Management Systems (AICMS) sowie Sicherstellung der lückenlosen Dokumentation nach EU AI Act.

1. Der AI Risk Officer (Der Risikomanager)

Der Fokus: Was könnte passieren?

Diese Funktion ist die direkte Antwort auf Artikel 9 des EU AI Act, der ein robustes Risikomanagementsystem für alle Hochrisiko-Systeme fordert.

Der AI Risk Officer ist der Architekt dieses Systems. Seine Kernaufgabe ist nicht, Risiken zu vermeiden, sondern sie steuerbar zu machen.

Kernaufgaben (gem. Art. 9 EU AI Act):

  • Risikobewertungen: Durchführung und fortlaufende Aktualisierung der Risikoanalysen für jedes KI-System.

  • AI Risk Register: Aufbau und Pflege des zentralen Verzeichnisses aller KI-Risiken.

  • Kontrollmaßnahmen: Definition, Implementierung und Überwachung von risikomitigierenden Maßnahmen (z.B. technische Kontrollen, Prozessanpassungen).


2. Der AI Ethics Officer (Das ethische Gewissen)

Der Fokus: Was sollte passieren (oder nicht passieren)?

Diese Funktion geht über die reine Gesetzeskonformität hinaus. Sie befasst sich mit dem „Geist“ des Gesetzes, wie er in den Erwägungsgründen (z.B. ErwG. 44-47) des EU AI Act verankert ist: Schutz der Grundrechte, Nicht-Diskriminierung und Fairness.

Der AI Ethics Officer prüft, ob ein KI-System – selbst wenn es legal ist – auch richtig und fair ist.

Kernaufgaben (Ethik-Review):

  • Fairness- & Bias-Analyse: Proaktive Prüfung von Trainingsdaten (Art. 10) und Modell-Outputs auf systematische Diskriminierung.

  • Menschliche Aufsicht (Art. 14): Sicherstellung, dass die „Human-in-the-Loop“-Prozesse nicht nur existieren, sondern auch effektiv sind.

  • Ethik-Freigabe: Durchführung eines „Ethics & Risk Review“ vor dem Einsatz (Pre-Deployment) neuer KI-Systeme.


3. Der AI Compliance Officer (Der Regel-Umsetzer)

Der Fokus: Was muss passieren?

Dies ist die „klassische“ Compliance-Funktion. Sie stellt sicher, dass das Unternehmen die Buchstaben des Gesetzes und die Anforderungen von Normen wie ISO/IEC 42001 (KI-Managementsysteme) einhält.

Der AI Compliance Officer ist der „Sheriff“, der die Einhaltung der definierten Regeln überwacht, dokumentiert und nachweist.

Kernaufgaben (Governance & Reporting):

  • AICMS-Aufbau: Etablierung des AI Compliance Management Systems (AICMS) nach ISO 42001 und ISO 37301 (Compliance-Systeme).

  • Policies & Richtlinien: Erstellung und Aktualisierung der „AI Policy“, „AI Use Policy“ etc.

  • Dokumentation (Art. 17): Sicherstellung, dass alle technischen Dokumentationen und Protokolle audit-sicher vorliegen.

  • Incident Management (Art. 62): Aufbau eines Prozesses zur Meldung und Bearbeitung von schwerwiegenden KI-Vorfällen.

Wie du siehst, greifen alle Aufgaben auf dieselben Gesetzesartikel zurück. Die folgende Tabelle zeigt die wichtigsten Bezüge zum EU AI Act, die alle drei Rollen betreffen.

Aufgabenbereiche & Referenzen im EU AI Act

Aufgabenbereich (Säule) Zentrale Referenz (EU AI Act) Zweck / Anforderung
Risk Art. 9 (Risikomanagementsystem) Systematische Identifizierung, Bewertung und Steuerung von KI-Risiken.
Ethics Art. 10 (Datenqualität) Anforderungen an Trainingsdaten zur Vermeidung von Diskriminierung (Bias).
Ethics Art. 14 (Menschliche Aufsicht) Pflicht zur Implementierung einer effektiven menschlichen Kontrolle (Human-in-the-Loop).
Compliance Art. 17 (Dokumentation) Pflicht zur lückenlosen Aufzeichnung und Dokumentation (Log-Dateien).
Compliance Art. 62 (Meldung von Vorfällen) Prozess zur Meldung von schwerwiegenden KI-Vorfällen an die Aufsicht.

Warum eine Bündelung der Rollen der Goldstandard ist

In der Praxis sind diese drei Funktionen untrennbar. Ein „ethisches“ Problem (z.B. ein verzerrtes (biased) Modell) ist gleichzeitig ein „Risiko“ (gem. Art. 9) und ein „Compliance-Verstoß“ (Verstoß gegen Art. 10 oder Art. 14).

Wenn diese Rollen getrennt sind, beginnt ein ineffizienter Abstimmungsprozess. Die folgende Tabelle zeigt den Unterschied am Praxisbeispiel eines neuen HR-Bewerbertools.

Prüf-Aspekt: Getrennte vs. Gebündelte Rollen im AI Compliance Management

Prüf-Aspekt Getrennte Rollen (Ineffizienter Silo-Ansatz) Gebündelte Rolle (Effizienter AI-CO)
Fairness (Ethik) Der Ethik-Officer prüft auf Bias und schreibt einen separaten Bericht. Der AI-CO prüft Bias als Teil des gesamten Risiko-Reviews (Art. 9 & 10).
Haftung (Risiko) Der Risk-Officer bewertet das Haftungsrisiko und erstellt eine eigene Risikoanalyse. Der AI-CO bewertet die Haftung als integrierten Bestandteil seiner Risikoanalyse.
Doku (Compliance) Der Compliance-Officer prüft die Anbieter-Doku (Art. 17) und fordert ggf. nach. Der AI-CO prüft die Doku als Grundlage für seine Risiko- und Ethikbewertung.
Das Ergebnis 3 parallele Prüfströme, 3 Berichte, langwierige Abstimmungsschleifen. 1 ganzheitlicher Freigabe-Prozess (Pre-Deployment Check). Schnell, effizient, audit-sicher.

Die Vorteile dieser Bündelung:

  • Ganzheitliche Sicht: Keine blinden Flecken zwischen Ethik, Risiko und Recht.

  • Geschwindigkeit: Schnellere Freigabeprozesse, da alle Prüfungen aus einer Hand kommen.

  • Klare Verantwortung: Eine Person (und ihr Team) ist „Accountable“ für die KI-Compliance.

  • Effizienz: Vermeidung von Doppelarbeit bei Audits, Dokumentation und Risikobewertungen.


Fazit: Vom Regel-Hüter zum KI-Strategen

Der EU AI Act verlangt nicht nur einen Regel-Hüter. Er verlangt einen strategischen Manager, der Risiken, Ethik und Recht in Einklang bringt.

Die Trennung dieser Rollen mag akademisch sauber sein, ist aber operativ ineffizient. Die Bündelung der Funktionen des AI Compliance, Risk und Ethics Officers schafft die schlagkräftige Steuerungsfunktion, die dein Unternehmen benötigt. Genau diese gebündelte, strategische Rolle ist es, die in der Praxis oft verkürzt als „AI Officer“ bezeichnet wird – der zentrale Navigator für dein Unternehmen durch die Anforderungen des EU AI Act und der ISO 42001.


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FAQ: AI Compliance, Risk & Ethics Officer

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