Deep Dive AIMS: Dein erster Schritt zur AI-Compliance – So baust du ein effektives AI Risk Register nach EU AI Act

Als AI Compliance Officer (AI-CO) musst du Risiken bewerten. Das Herzstück dieser Aufgabe ist das „AI Risk Register“. Wir zeigen dir, wie du dieses zentrale Dokument von Grund auf aufbaust, welche Spalten es enthalten muss und wie du es zur Priorisierung deiner Maßnahmen nutzt.

Im ersten Artikel hast du gelernt, warum deine Rolle als AI Compliance Officer entscheidend für die Zukunft deines Unternehmens ist. Jetzt gehen wir direkt ins „Wie“.

Deine erste und wichtigste Aufgabe im AI-Compliance-Managementsystem (AIMS) ist es, Transparenz zu schaffen. Bevor du KI steuern kannst, musst du wissen, welche KI-Systeme in deinem Unternehmen überhaupt im Einsatz sind.

Das Herzstück deiner Arbeit ist daher das AI Risk Register (oder KI-Risikoregister). Es ist weit mehr als eine endlose Excel-Liste – es ist dein zentrales Steuerungs- und Nachweisdokument.

Warum dein AI Risk Register dein wichtigstes Werkzeug ist

Du kannst kein Risiko managen, das du nicht kennst. Viele KI-Anwendungen laufen unbemerkt als „Schatten-IT“ oder sind in Standard-Software versteckt. Das AI Risk Register ist das Fundament deines gesamten AIMS.

Es dient drei strategischen Zielen:

  1. Transparenz (Inventarisierung): Du schaffst einen „Single Point of Truth“ für alle KI-Systeme im Unternehmen – von der HR-Software bis zum Marketing-Tool.

  2. Steuerung (Priorisierung): Du identifizierst sofort, wo deine „Hochrisiko-Systeme“ nach EU AI Act liegen (z.B. im Recruiting) und wo du als Erstes handeln musst.

  3. Nachweis (Audit-Sicherheit): Gegenüber der Aufsicht, dem Vorstand oder Auditoren belegst du jederzeit lückenlos, dass du deine Sorgfaltspflichten (insb. Art. 9 EU AI Act) systematisch erfüllst.


Schritt 1: Die Inventarisierung – So findest du die „KI-Schatten-IT“

Die größte Hürde ist die „Schatten-IT“. KI steckt oft versteckt in Software-as-a-Service (SaaS)-Tools, die von Fachbereichen ohne dein Wissen eingekauft wurden. Ein reiner IT-Scan reicht nicht aus. Du musst „detektivisch“ vorgehen und die Fachbereiche interviewen.

Hier ist deine Checkliste für die KI-Inventarisierung:

  • Marketing & Vertrieb: „Welche Tools nutzt ihr für Kunden-Scoring, Lead-Generierung (z.B. Salesforce Einstein), personalisierte Werbung oder zur Erstellung von Inhalten (GenAI)?“

  • Personal (HR): „Nutzt ihr Software zur Analyse von Bewerbungsunterlagen (CV-Parsing), zur Vorauswahl von Kandidaten oder für interne Talent-Analysen?“

  • Finanzen & Controlling: „Setzt ihr Tools zur Betrugserkennung (Fraud Detection) oder zur automatisierten Rechnungsverarbeitung und Bonitätsprüfung ein?“

  • Kundenservice: „Nutzt ihr Chatbots, Voicebots oder Systeme zur automatisierten E-Mail-Klassifizierung und Stimmungsanalyse?“

  • IT & Entwicklung: „Welche Cloud-Dienste (AWS, Azure, Google) mit KI-Funktionen sind im Einsatz? Nutzt ihr GenAI-Tools wie GitHub Copilot zum Coden?“

Profi-Tipp: Frag nicht „Nutzt ihr KI?“. Viele Mitarbeiter wissen es nicht oder verstehen den Begriff falsch. Frag stattdessen: „Welche Software nutzt ihr, die automatisch Entscheidungen trifft, Vorhersagen macht, Inhalte generiert oder komplexe Muster erkennt?“


Schritt 2: Die Anatomie des AI Risk Registers (Deine Vorlage)

Sobald du deine Liste hast, beginnst du mit der Bewertung. Dein Register ist ein lebendes Dokument. Die folgenden 8 Spalten haben sich in der Praxis bewährt, um die Anforderungen des EU AI Act präzise abzubilden.

Best Practice: Aufbau eines AI Risk Registers

Spalte Inhalt / Zweck Dein Nutzen (Bezug zum EU AI Act)
1. AI-System & Zweck Name des Tools (z. B. „Bewerber-Screening-Tool X“) und was es tut (z. B. „Vorauswahl von Bewerbern“). Inventarisierung & Basis für Art. 2 (Scope).
2. Fachbereich Wer im Unternehmen nutzt das Tool und ist „Owner“? (z. B. „HR“). Klare Verantwortlichkeit – zentral für dein AIMS.
3. Risikoklasse Die wichtigste Spalte: Verboten (Art. 5), Hoch (Art. 6), Limitiert (Art. 52) oder Minimal. Priorisierung & Basis für alle weiteren Pflichten.
4. Begründung Warum wurde es so eingestuft? (z. B. „Hochrisiko nach Anhang III, Nr. 4a – Einsatz im HR-Bereich“). Nachweisführung – essenziell für Audits.
5. Identifizierte Risiken Welche konkreten Risiken siehst du? (z. B. „Potenzieller Gender-/Alters-Bias“, „Intransparente Logik“). Risikoanalyse – Pflicht nach Art. 9.
6. Bestehende Kontrollen Was tut ihr bereits, um das Risiko zu mindern? (z. B. „Manuelles 4-Augen-Prinzip“, „DSFA liegt vor“). Gap-Analyse – zeigt, wo ihr bereits compliant seid.
7. Notwendige Maßnahmen Was fehlt zur Compliance? (z. B. „Bias-Audit durchführen“, „Anbieter-Doku (Art. 13) anfordern“). Maßnahmenplan – dein zentrales Steuerungstool.
8. Status Offen / In Arbeit / Erledigt. Reporting – Basis für dein Management-Dashboard.

Schritt 3: Von der Theorie zur Praxis – Dein Register in Aktion

So könnte ein Eintrag für das „Automatisierte Bewerberauswahl“-Tool aus unserem ersten Artikel aussehen. Anhand dieses Eintrags siehst du sofort, wo Handlungsbedarf besteht.

Praxisbeispiel: Eintrag im AI Risk Register

Spalte Beispiel-Eintrag
1. AI-System & Zweck „TalentFinder Pro“ – Automatisiertes CV-Parsing & Ranking von Bewerbern.
2. Fachbereich HR / Recruiting
3. Risikoklasse Hochrisiko
4. Begründung EU AI Act, Anhang III, Pkt. 4(a): „KI-Systeme für die … Vorauswahl“.
5. Identifizierte Risiken Hohes Risiko für Diskriminierung (Bias) basierend auf Geschlecht, Alter, Herkunft (Trainingsdaten unklar).
Intransparente Entscheidungslogik („Blackbox“).
6. Bestehende Kontrollen Anbieter ist ISO 27001 zertifiziert.
DSFA (Datenschutz) wurde 2023 erstellt.
Endgültige Entscheidung trifft ein Mensch.
7. Notwendige Maßnahmen (Action: AI-CO) Technische Doku nach Art. 13 & Art. 28 (Anbieterpflichten) anfordern.
(Action: HR) Prozess für menschliche Aufsicht (Art. 14) klar definieren & schulen.
(Action: AI-CO) Bias-Test (Fairness Audit) planen (Q1/2026).
8. Status In Arbeit

Fazit: Vom Register zum aktiven Management

Du siehst: Mit dieser Struktur wird das AI Risk Register von einer reinen „Liste der Schande“ zu deinem dynamischen Action-Plan. Es ist das Cockpit, mit dem du dein Unternehmen sicher steuerst.

Es zeigt dir, deinem Management und der Aufsicht jederzeit, welche Risiken identifiziert wurden, wie sie bewertet sind und welche konkreten Maßnahmen zur Steuerung eingeleitet wurden.

Dein nächster Schritt:

Das AI Risk Register ist ein zentrales Werkzeug. Aber wie führst du das Bias-Audit durch? Wie sehen die Checklisten für die Anbieterprüfung (Art. 13 & 28) genau aus? Und wie baust du den Rest deines AI-Managementsystems (AIMS) – von der AI Policy bis zum Incident Response Plan – auf?

In unserem Intensiv-Seminar AI Compliance Officer – Rolle, Aufgaben und Umsetzung in der Praxis erhältst du das komplette S+P Toolkit. Dazu gehört die sofort einsetzbare Excel-Vorlage für dein AI Risk Register und über 20 weitere Policies, Leitfäden und Checklisten. Lerne in nur einem Tag, wie du dein AIMS audit-sicher aufbaust.

FAQ: Das AI Risk Register

  • Was ist der Unterschied zwischen einem AI Risk Register und einer DSFA (Datenschutz-Folgenabschätzung)?

    Die DSFA (nach DSGVO) fokussiert sich auf Risiken für personenbezogene Daten. Das AI Risk Register (nach EU AI Act) ist breiter: Es bewertet alle Risiken – einschließlich Diskriminierung (Bias), Sicherheit, Transparenz und Grundrechtsverletzungen – auch wenn keine personenbezogenen Daten verarbeitet werden.

  • Wer im Unternehmen ist für das Führen des Registers verantwortlich?

    Als AI Compliance Officer bist du der Owner des Registers. Du koordinierst und steuerst den Prozess, während die Verantwortung und Informationen zu einzelnen KI-Systemen (z. B. HR-Tools) bei den jeweiligen Fachbereichen (System-Ownern) liegen.

  • Wie oft muss ich das Register aktualisieren?

    Das Register ist ein „lebendes Dokument“ und muss immer aktualisiert werden, wenn:

    • ein neues KI-System eingeführt wird,
    • ein bestehendes System wesentlich geändert wird (z. B. neues Trainings-Set oder Zweck),
    • oder ein neuer Vorfall (Incident) aufgetreten ist.

    Mindestens einmal jährlich solltest du es im Rahmen deines Audit-&-Review-Prozesses prüfen.

  • Wie hilft mir das S+P Seminar bei der Inventarisierung?

    Im Seminar erhältst du praxisbewährte Fragebögen und Interview-Leitfäden, mit denen du die „KI-Schatten-IT“ in deinen Fachbereichen schnell und strukturiert identifizieren kannst. So legst du die Basis für ein vollständiges und prüfungssicheres AI Risk Register.

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